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Ida Geas satirischer Blick auf die Welt von Stuttgart 21 bis zum Neuen Zeitalter: non-konform, spirituell, hexenhaft und psychopolitisch...

Stuttgart 21 als „Herr der Ringe“-Inszenierung

Stuttgart 21 als  „Herr der Ringe“-Inszenierung

Seit der Massenbaumfällung vor gut einem Jahr ist Stuttgart für mich zu einer No-go-Area avanciert. Doch ausgerechnet der Warnstreik des Öffentlichen Dienstes am 5. März sorgt dafür, dass der Bus uns direkt am Ort des feinstofflichen Grauens ausspuckt. Ich hätte es mir gern erspart, das „Trümmerfeld“ von Stuttgart 21 näher betrachten zu müssen. Im Vorüberlaufen bekommt man das Gefühl, sich bei jedem einzelnen der spärlich verbliebenen Bäume persönlich entschuldigen zu müssen. Wahrhaftig nicht zum ersten Mal lässt mich das Szenarium in seiner ganzen Verschärfung an Tolkiens „Herrn der Ringe II“ (sozusagen als Freiluftaufführung gleich neben dem Staatstheater) denken – in der vagen Hoffnung auf glorreiche Hilfe durch die „Ents“ genannten Baumhirten, die Sarumans abgrundtief untertunnelte Technik-Gruben machtvoll zu Fall brachten…

Tatsächlich habe ich es (in diesem Leben) erstmals in der Verfilmung des zweiten Teils des Herrn der Ringe erlebt, dass das Thema der Baumfällung in großem Stil moralisch negativ dargestellt wird. Bis dahin bin ich eigentlich nur auf allgemeine Abgestumpftheit und Schulterzucken wenn nicht mitleidig-nachsichtiges Lächeln gestoßen, was ein feinfühliges Mitempfinden für Bäume als Lebewesen angeht. Man muss schon weit zurückgehen in der Literatur, um auf eine andere kollektive Lebenshaltung zu stoßen, die einem dann zumeist aus der abwertenden, „neuen“ Sicht des Siegers präsentiert wird wie zum Beispiel beim Kampf des sumerisch-babylonischen Kriegerhelden Gilgamesch gegen den Wächter des (noch heiligen) Zedernwaldes Humbaba, der erwartungsgemäß mit der Vernichtung des Baum- bzw. Waldgeists endet, woran sich die fortschrittliche Abholzung der Zedern nahtlos anfügt.

In der jüngeren europäischen Geschichte findet sich allerdings eine auch von konservativen CDU-Kreisen gern zitierte Geistesgröße als Anwalt der Bäume um ihrer selbst willen: - - Goethe! Das folgende Zitat aus Die Leiden des jungen Werther zählt sicher nicht zu den bekanntesten:

"Ich möchte toll werden, ich könnte den Hund ermorden, der den ersten Hieb dran tat. Ich, der ich mich vertrauern könnte, wenn so ein paar Bäume in meinem Hofe stünden und einer davon stürbe vor Alter ab, ich muß zusehen. (...) Das ganze Dorf murrt, und ich hoffe, die Frau Pfarrerin soll es an Butter und Eiern und übrigem Zutrauen spüren, was für eine Wunde sie ihrem Orte gegeben hat. (…) So einer Kreatur war es auch allein möglich, meine Nußbäume abzuhauen. Siehst du, ich komme nicht zu mir!"

Ein wunderbarer Vorgriff auf die Gefühlslage der Parkschützer/innen und das damit einhergehende „Baum-Qi-Gong“, das regelmäßig frühmorgens im Stuttgarter Park praktiziert wurde, solange die ästhetische Harmonie verbreitenden alten Bäume noch standen. Wie man sieht, hinderte bereits im Fall der genannten Pfarrerin das christliche C nicht daran, gefühllos von der „Hütung der Schöpfung“ zur zerstörerischen „Herrschaft über die Schöpfung“ überzugehen.

Um die Zerstörung einer intakten, naturverbundenen Welt geht es auch beim Herrn der Ringe, wobei das besondere Moment hier das Eingreifen der Naturwesen, der Baumgeister selbst ist. Ein Eingreifen, das erst am Ende einer geruhsamen, sozusagen basisdemokratischen Beschlussfassung erfolgt (jedenfalls in der Buchvorlage), dann aber umso weitreichendere Konsequenzen hat. Jedes Mal, wenn ich mir die entsprechende Filmszene ansehe, in der die riesigen Ents in „Ton-Steine-Scherben“-Manier das kaputt machen, was sie kaputt machte und durch das Lösen des maximal gestauten Wassers eine flächendeckende Zentralreinigung des gesamten kotzhässlichen Fortschrittsareals bis in seine finsteren Tiefen bewirken, empfinde ich ein tiefgehendes Gefühl der Genugtuung, das wie ein erlösendes „Endlich!“ durch den ganzen Körper ploppt.

Die vollkommene Ineffizienz-Trias von mangelnder Leistungsfähigkeit, technisch-ökologischen Gefahren und fortschreitender Kostenexplosion beim Schildbürgerstreich „Stuttgart 21“ verfällt dem gleichen Größenwahn wie der überbordende (Kriegs-)Technikzauber des machtbesessenen Saruman. Der Ring der Macht verbindet beide Projekte in ihrem technokratisch-künstlichen Maschinenmenschenverständnis, das es zerstörungsgeil abgesehen hat auf alles, was harmonisch, einzigartig und natürlich ist.

In einer Zeit, in der vom Banktempel bis zur Universitätsklinik großflächig nur noch „Legobauten“ hochgezogen werden, deren einziger Individualitätsfaktor sich im Wettkampf um die größtmögliche Hässlichkeitsnorm festmachen lässt, ist die Hoffnung auf freundliche Unterstützung durch „Baumhirten“ allerdings verführerisch. Doch angesichts der anstehenden Tunnelbohrungen, deren technische (und damit auch finanzielle) Komplikationen sich ebenso vorhersehen lassen wie der steigende Widerstand einer neu betroffenen Einwohnergruppe, nämlich der Hausbesitzer/innen, deren Domizile nun im großen Ring von Stuttgart 21 untertunnelt werden sollen, kommen die Bundestagswahlen gerade rechtzeitig. Wer Anderen eine Grube gräbt, fällt bekanntlich selbst hinein – warten wir’s zuversichtlich ab!

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